Kayfabe in einer Verbindung bzw. Fratboy im Wrestling

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Ich hüpfe die langen Rolltreppen herunter und schubse mich durch die Leute. Um die Ecke steht meine Karre, die so zugeparkt ist, daß ich französisch ausparken muss. Mit vollem Karacho brettere ich anschließend über die Ringe und nehme jede gelbe Ampel, die ich kriegen kann. Ein SUV vor mir macht mir zu schaffen, der mich erst ohne es zu merken schneidet und mich nach dem überholen nur noch ausbremst. Bei solchen Typen werd ich zur Rakete.
Keine zehn Minuten bin ich zu spät, also bin ich nicht zu spät. Denn das akademische Viertel gilt, aber wie so oft in dieser Bruderschaft, bekommen wir es nicht hin pünktlich anzufangen. Immer ist noch irgendwas nicht an seinem Platz oder die Leute brauchen eine Extra-Wurst zur Einweisung. Wie im Kindergarten hat immer noch einer in die Hose gemacht.  Das Band umgeworfen und los.


Unten wartete ein ganzes Kabinett von schaurigen Begegnungen. Der Oberste ganz vorne weg glänzte mit viel hohlem "Ha ha" und mancher peinlichen Anekdote. Die andere, fremde Truppe, welche auf dieser Veranstaltung zu Gast war,  war von so einer universitären Untergruppierung des Christlich Demokratischen Kaders. So eine Art Junge Union, nur unbeholfen politisch konservativ. Sie hatten extra zu diesem Zweck ein paar lebende Puppen mitgebracht, um deren Offenheit und Liberalität über allen Zweifel hinaus beweisen zu wollen. Zum einen war dazu der augenscheinliche Ausländer integriert. In meiner Vorstellung wahrscheinlich einer kosmetischen Operation unterzogen wurde, oder den heiligen Zielen unterworfen, damit er in deren Pläne passte. Er zeichnete sich durch seinen Haut- und Haarfarbenunterschied, jedoch auch im Unterschied zum Engagement aus. Er war viel dreister und machte auf engagierter als alle anderen, um scheinbar seinen "Makel" auszugleichen. Nein, vielbesser noch, um den Triumph zu feiern, daß er unangreifbar wird in diesem Zirkel. Denn die kognitive Dissonanz war so stark, daß dieses Mitglied es als taktischen gesprächsvorteil kmplett ausnutze und arrogant sein durfte, wie kein anderer. Obwohl er nichts geleistet hat bisher. Nicht dass er einen Akzent gehabt hätte, nicht dass er fehlgekleidet oder ein falsches Wort zur falschen Zeit hätte ergriffen. Nein, ganz im Gegenteil. Er verstand es wie kein gleicher alles was ihm nichts wert war zu verkaufen und zu verleugnen. Da hatten sie eine ganz besondere Waffe. Der unangreifbare Scharfschütze in seinem Turm, mit seiner zwar rhetorisch noch ungeschliffenen Munition, aber der ironischen Dreistigkeit verschossen, konnte genauso verheerend sein, wie es nervend war.

Die Zweite Puppe, die von der Gast-Bruderschaft inszeniert wurde, war von weniger großem politischem Redeeinfluss. Sie bestach durch bloße Anwesenheit und Zugehörigkeit. Wir rekapitulieren: Damit sich der konservative debil-rechte Flügel tarnen konnte musste er sich die Lammfelle umwerfen so gut es ging. Den Ausländer haben wir. Check. Die Zweite Puppe war die Behinderte. Das war so eindeutig. Sie durfte natürlich nicht zu wenig behindert sein, zB. nur eine Spastik an der Hand haben oder ein wenig geistig wirr. Sie musste schon augenscheinlich ein Krüppel sein, und zwar ein bewusster. Sie musste integriert und selbstverständlich dazugehören, so als ob es die Gruppe einen Farbkasten aus Fehlfarben darstelle, und sie war das Deckweiss.
So etwas hatten wir natürlich nicht. Na, klar hatten wir "den Schwarzen" - es geht doch auch gar nicht ohne. Den hatten wir 'akquiriert' über unseren alten Obersten, der hatte da ein Händchen für. Irgendwie bestand dort eine Verbindung und er hatte es doch tatsächlich geschafft, dass dieser arme Kerl von einem, in deutschand lebenen Schwarzen, bei unserer hochoffiziellen Veranstaltung auftaucht, um in den Verein aufgenommen zu werden.

 „Neque porro quisquam est, qui dolorem ipsum, quia dolor sit, amet, consectetur, adipisci velit […]“ --- (Es gibt niemanden, der den Schmerz selbst liebt, der ihn sucht und haben will, einfach, weil es Schmerz ist […]). 
Ciceros De finibus bonorum et malorum

Damals noch voll überrascht von allem, glaube ich, ist ihm selber bald ein kleines Licht aufgegangen, welches Spiel hier mit ihm gespielt wurde. Es waren am Nachmittag noch einige wichtige Sitzungen zu halten, bei denen er nicht teilnehmen konnte, weil er noch nicht im Club war, wartete er lieb im Flur.
Allein.
Länger.
Dann und wann wurde er reingerufen und sollte sich vorstellen und alte Männer bestanden darauf, dass er seinen Namen doch bitte wiederhole, man habe ihn nicht gut verstanden.
Ob er denn aus Deutschland komme?
Wenn nicht woher dann?
Ob er er denn studiert habe? und so weiter.
Dann musste er wieder hinaus gehen und warten, damit der Convent in Abstimmungsgewalt entscheiden konnte, ob er aufgenommen wird. Natürlich witrd er das. Formalien. So eine chance kommt erstmal nicht wieder.

Während der anschließenden Festivität fand die Art Aufnahmeritual statt, die der Förmlichkeit Rechnung tragen sollte. Wie genau das zu passieren hatte, war eigentlich allen Anwesenden gar nicht so klar oder geregelt. Denn wie bereits erwähnt, verspäten sich die hart gesetzten Zeiten für diese offiziellen Feste genau durch diese Unwissenheit und Fehlkommunikation.
Also nahm unser geschätzter ehemaliger Oberster das einfach selber in die Hand, damit es auch ja keiner versaut. Mit seiner gewohnt umgreifenden und eloquenten Art konnte er warscheinlich gleichzeitig den Versailler Vertrag unterschreiben und Chrustchow ein Kompliment zu seiner Krawattennadel machen, ohne sein Lächeln zu verlieren. Er stand auf und stellte den Schwarzen vor, und alle warteten nun gespannt darauf, was der neue Gast in der akademischen runde zu berichten hatte und welches Grußwort er ausrichten werde.

"Mein' Nam' is' Unicef Cosplay*. Bin ich Deutscher. Freue mich hier zu sein. Diese Verbindungs-Ding passt mir gut in Kram. Selber habe ich zwei Töchter. Eine studiert sogar." - Der einzige, nicht gering Pigmentierte

Das war der Moment, wo jeder gesehn hatte, wie Jim Henson die Hand in die Puppe einführte. Der Zauber war kurz gebrochen. ICH BIN SPARTAKUS, hätten jetzt alle rufen müssen, aber das Kayfabe war durchdrungen. Ihn selber habe ich danach auf diesen Veranstaltungen nur ein oder zweimal wiedergesehen. Er war immer sehr nett und nach diesem ersten mal leider besonders distanziert. Nie habe ich ihm ein Bier ausgeschenkt oder mehr als drei Sätze Wort-Tennis mit ihm gespielt. Ich glaube das Verbindungs-Band eines Verkehrsgastes hatte er auch nur am Anfang an. Wir hatten jedenfalls jetzt einen Neger in unserer katholischen deutschen Verbindung, uns konnte keiner was.

dazu  der Weltenrichter:
wobei meine money quote in der Befragung vor der Runde war "Sie sagten, dass sie bereits seit X Jahren hier sind... gehen Sie denn auch einmal wieder ..zurück nach Hause?" 

Er war heute natürlich nicht da. Wir waren nie politisch aufgestellt. Da sind wir vielleicht zu weich für - kein Interesse an dieser Art Sozial-Schach. Solche Ziele hatten wir nie formuliert. Wir schwammen im Kayfabe der Verbindungsmentalität und versuchten niemandem weh zu tun. Aber unser Oberster ganz bestimmt. Der war sicherlich bereits am taktieren und positionieren so gut er eben konnte, während wir noch nicht das Band umgeschmissen hatten. Jedoch die Gast-Verbindung, die heute Abend hier konspirativ eingefallen war, hatte anscheinend einen Masterplan, und sie hatten eine verdammt gute Chance alles zu bekommen was sie wollten. Das war der unterschied, es gab so viele Bastarde und Arschlöcher, die sich diesen Seilschaften anschlossen. Untermenschen und Hassfiguren. Arroganz und fehlgeleitete Machtgier gepaart mit Papa's Geld und der Motivation, trotz mangelndem Einfühlungsvermögen (oder gerade deshalb?) möglichst viele Menschen unter sich zu scharen und zu knechten.


Das Konzept "frat boy" ist im Wrestling als Figur noch nicht aufgegriffen worden, oder?
Hm, nein ich denke The Disciple , Nerd Frat Terror  oder Pat 'the wicked' Power Pupil hätte man schnell verworfen. Wahrscheinlich eher etwas anglikanisches wie old boy + [brit. klingender Vorname] und dann einen auf rugbyspieler machen. Aber die Durchtriebenheit eines coleurstudentischen Wrestlers lässxt sich wahrscheinlich nicht bis ins Fernsehen transportieren. Zumal, wenn man dann wirklich den amerikanischen Frat-boy meint, dann hat das nichts mehr mit dem zu tun, was man meint, wenn man heir über Studentenverbindung spricht. Das verhält sich ungefähr genauso, wie wenn man NBA sagt aber Basketball-Bund meint. Da stekcne nicht nur ganz andere Motivationen hinter, die Leute vom anderen Kontinent, nehmen das auch ganz anders ernst. Das hat auch sofort einen ganz anderen Rückhalt in der Bevölkerung, obwohl es viel abgedroschener ist (oder gerade deswegen?).


Noch ein Bonmot zum Schluß, diesmal Otto v. Bismarck: Er blieb zeitlebens ein überzeugter Corpsstudent**. An den Burschenschaften** missfielen ihm:
  • „ihre Weigerung, Satisfaktion zu geben, 
  • ihr Mangel an äußerlicher Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft
  • bei näherer Bekanntschaft auch die Extravaganzen ihrer politischen Auffassungen, die auf einem Mangel an Bildung und an Kenntnis der vorhandenen, historisch gewordenen Lebensverhältnisse beruhte.“--






*korrekte Schreibweise unbekannt
** Hier wird bereits Mitte des 19. Jhd. ein Unterschied deutlich gemacht.

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