Eine Weihnachtsgeschichte 2. Teil: Ich erkannte, sie ist gar nicht meine Nikotinabhängigkeit

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Eine Weihnachtsgeschichte in zwei Teilen



2. Teil: Ich erkannte, sie ist gar nicht meine Nikotinabhängigkeit


„Krass“, sagte ich. Ich erkannte, sie ist gar nicht meine Nikotinabhängigkeit, ich hatte eine Nutte aufgegabelt. Na toll, hoffentlich gehört das nicht zu ihrem Schema, auf diese Weise Freier zu machen, sondern sie will wirklich nur nach Hause. „Wieso krass? Möchtest Du nicht? Komm für zwanzig, oder ich blas Dir irgendwo einen für zehn? Komm schon, ich könnte zehn echt gut gebrauchen.“ Ich war baff, sie schaut mich an. Ich konnte in ihre Kapuze sehen und ihr Gesicht betrachten. Ich fuhr geradeaus auf der Landstraße, in der Ferne konnte man bereits Kölnberg ausmachen. Ihre Augen waren wach und ehrlich, jedoch sie war irgendwo, nur nicht in ihrem Körper. Ihre Welt musste aus etwas viel, viel wunderschönerem bestehen, in das sie sich wieder zurückziehen wollte. Beim Sprechen erkannte ich Ihren Speichel, milchig und fies. Ihr fehlten ein Schneidezahn, oder sie hatte eine starke Fehlstellung, es muss irgendwann mal ein wunderschönes Mädchen gewesen sein. Sie hat sich selbst sehr stark vernachlässigt. „Bitte komm ich Blas Dir einen?“ Ein weinerlicher Unterton, ein fordernder und verzweifelter Ton, aber anscheinend keine neue Situation für sie. „Komm für zehn, hier! Halt einfach an, ich brauch nur zehn Euro, ich mach’s Dir für zehn! Zehn reichen echt“, stach sie weiter. Sie änderte weder ihre Position, noch ihre Tonlage, sie benutzte kein Gestik, saß zusammengekauert da und wendete lediglich ihr Gesicht zu mir, in der Kapuze versteckt. Ihr Atem roch nach mehr als altem Rauch. Roch nach fauligem, roch nach milchigem, nach krankem. Sie schaute mich an, ich schaute in ihre Pupille und stellte wieder eine Tiefe fest; eine Welt dahinter, wie hinter einer Glasscheibe, die inzwischen matt geworden war. 

Ihre Augen glänzten wie Fett

 „Komm ich blas Dir einen für zehn Euro“ – „Nein!“ – Was hatte sie so sehr von dieser Offensichtlichkeit ablenken lassen? Warum konnte sie wollen einen solchen Zustand zu verfolgen? Ich war verblüfft und ein wenig ratlos. Ich hatte nicht vor ihre Geschäftsideen zu verwirklichen, ich war weit davon entfernt, dass dies Realität werden konnte. Ich bekam mehr Kopfschmerzen von ihr. „Nur für zehn Euro mach ich’s dir, echt!“ – „Nein, sei doch froh dass ich Dich überhaupt mitnehme!“ 
Ihr fauliger Mund, ihre schmutzigen Hände mit schwarz konturierten Fingernägeln, ihr Geruch nach  alten Kartoffeln, Staub, ranziger Friteuse und einer alten Milchpackung zeichneten eine Hieronymus Bosch Blaupause. „Komm schon, ich brauch es echt. Für Dich mach ich’s auch nicht für zwanzig. Nur zehn, das reicht“ Wie ein Picknick auf nacktem Boden in der Bahnhofstoilette. „Du bist zwar eine Süße, aber du hast keine Chance“, sagte ich lakonisch und versuchte fest nach vorne zu schauen. „Wo musst Du eigentlich hin?“ Sie veränderte zum erstenmal ihre Position, sie sank mehr zusammen. Sie seufzte. Die Realität bereitete ihr Schmerzen. Sie hatte anscheinend große Schmerzen durch ihre matte Scheibe hindurchzutasten. Es schien, als sei es anstrengender für sie, als neben mir um ihre Würde für zehn Euro zu betteln. Sie sagt leise einen Straßennamen, den ich nicht verstand. Ich hakte nicht nach, ich vermutete, dass sie auch damit zufrieden wäre, wenn ich sie in Köln-Berg an der Ecke rauslassen würde. „Dann gib mir doch so zehn Euro, biiiiittteeee!“ Sie wahr auf eine neue Idee gekommen, sie lies nicht locker. „Hörmal ich kanns echt gut gebrauchen, gib mir nur zehn, weißt Du, dann komm ich schon gut durch!“ In meinem Kopf schwirrten Bilder einer stinkenden Unterführung, mit ihr, wie sie sich in einen alten Karton zum Schlafen legt, während kreischend Güterzüge vorbeifahren und in der Ferne Hunde bellen. 

Ihr Urinnerstes war tief vergraben

Ich bog ab und sie zeigte mit einem Ärmel, dass sie in der nächsten Straße aussteigen möchte. Ich entschied deshlab in etwas nicht zu investieren, was mich nicht reizt zu bekommen weil dessen Ideal keine Ähnlichkeit mit meinem hat. Zumal vermutete ich, dass ich sie wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Aber ich verwarf den Gedanken wieder, da bei genauem Überlegen es viel Wahrscheinlicher wahr, dass ich sie morgen wieder an der selben Stelle treffen würde. Ich prüfte kurz ob es für sie nicht einfacher wäre sich umzubringen? Ich hätte es in Betracht gezogen, aber wer bin ich, darüber von meinem Bock aus zu Entscheiden? Ich würde sie wahrscheinlich erneut mitnehmen, sie würde mir genauso wieder unheimliche Kopfschmerzen bereiten und im Auto stinken. Ich tippte auf ihren Gurtöffner und der Gurt schnallte etwas zurück. Sie öffnete die Tür noch nicht. „Komm schon, bitte, echt, es ist echt wichtig, das wär’ auch nicht so viel, aber das würde mir echt weiterhelfen, mach schon“ – „Hey ich hab Dich doch zumindest mitgenommen, ist das etwa nichts?“ und es rutscht ihr heraus „Das bringt mir ja nichts, ich brauch nur ein bisschen, nur zehn Euro.“ Grauenhaft.
Ich sah sie an, sie blickte mir ins Gesicht, aber ich sah, dass sie nicht wirklich war. Ihr Urinnerstes war tief vergraben und versteckt, sie hat sich verraten und verkauft. Ich schüttelte nur noch den Kopf, es reichte mir auch. Ich mochte ihren Geruch nicht mehr länger ertragen. Sie zog zusammen und öffnete die Tür, verließ den Wagen. Wie ein kleines Mädchen; ich spürte ihren Groll. Eine Ungerechtigkeit für sie, eine unerhörte Blockade. Sie wollte die Tür schmeißen, schien aber zu schwach. Ich setzte zurück und fuhr weg.
 Die Kopfschmerzen blieben und ebenso blieb weiterhin ihr muffiger Geruch. Ich hoffte, dass ich sie nie wieder treffe. Ich entschied aber definitiv, das ich zukünftig davon absehen würde Anhalter mitzunehmen.


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