Der Wannabe der Authentizität

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Nehmen wir mal  Ray-Ban. Nur so zum Beispiel, damit wir das Prinzip und gemeinsam durch die entspiegelte Brille durchschauen, durch die ich sehe.

Ray-Ban (deutsch: Strahlenschutz) ist eine Sonnen- und Korrektionsbrillenmarke. Sie wurde 1937 als Tochterfirma von Bausch & Lomb, eines Herstellers medizinisch-optischer Geräte mit Beteiligung des United States Army Air Corps (USAAC), gegründet. Der erste Prototyp Anti-Glare wurde am 7. Mai 1937 zum Patent angemeldet. 1999 verkaufte Bausch & Lomb die Marke für 640 Millionen US-Dollar an die italienische Luxottica-Gruppe - wiki

Aha, nach  62 Jahren ist dem Medizintechnik Hersteller Bausch+Lomb klar geworden, dass es sich bei seiner United States Army Corps Schutzbrille nur um einen Lifestyle Artikel handelt. Das passt nicht zum seriösen Zulieferer von Präzisionstechnik. Das passt besser zu einer Lifestyle Agentur. Denn Luxottica kauft Marken wie Oakley, Persol, Oliver Peoples, etc. und wer sich nicht kaufen lässt, der wird eben lizensiert: Armani, Bulgari,Burberry, Chanel, Club Monaco, D&G, Dolce&Gabbana, Emporio Armani, Polo Ralph Lauren, Prada, Tiffany&co, Versace, uvm.

"Unternehmensgründer Leonardo Del Vecchio ist heute die zweitreichste Person Italiens." - wiki

Jetzt stelle ich mir die Frage, ob der Verkauf der Marke, neben dem bereits enttarnten untschiedlichen Vermarktungsaspekt, auch etwas mit der unterschiedlichen Qualität in der Herstellung zu tun hat? Bisher konnte ich als Brillo, der auf mehr als 30 Jahre Erfahrung durch eine Brille zurückblicken kann, jedenfalls zu keinem Zeitpunkt Ray-Ban als hervorstechendes Qualitätsprodukt erkennen. Es kam mir eher so vor, als würde es durch Einfachheit und geringe Komplexität in der Herstellung die Aktionäre begeistern.

Aber ist denn dieses Misskonzeption, dieser klare Bedeutungsunterschied, diese kognitive Dissonanz nicht allen klar?  Diese Hipsterfäule, wie ein hohler, morscher Baumstamm, an dem von außen noch die Christbaumkugeln der Konsumversprechen hängen? Wieso eigentlich Hipster?

Interest over time. Web Search. Germany, 2004 - present.

 

Zumal ist es nicht so, dass die Brille mehr wie eine Prothese funktioniert? Also ich meine selbst die Brille ohne Stärke, die als Lifestyle-Prothese getragen wird. Es ist also vergleichbar, wenn Sehbehinderte zum Augenarzt/ Optiker gehen, um sich beraten zu lassen, damit sie ihre Sehschwäche ausgleichen; vergleichbar zu dem Lifestylebehinderten, der zu... - ja zu wem geht er eigentlich? Von wem lässt sich der Lifestylebehinderte helfen einreden, dass dieses Produkt/Marke nun Hip ist und ihn zum -ster machen kann. Aber ich denke, eine Prothese beflügelt einen trotzdem nicht zu allem, wie in diesem bitteren Fall:


Weil seine Prothese nicht richtig befestigt war, hat ein einarmiger Pilot kurz vor dem Aufsetzen in Belfast die Kontrolle über seine Flybe-Maschine verloren. - spiegel.de


Oder kann es auch Prothesen geben, die eine Funktion besser ausführen, als das Original? Kann es eine Brille geben, die ultimativ und zeitlos "hip" macht?

 Im Sport wurden Prothesen lange Zeit als Behinderung angesehen. Bis vor nicht langer Zeit waren Athleten mit Prothesen gegenüber Athleten ohne Prothesen im Nachteil. Das ändert sich zur Zeit. Durch die Qualität moderner Prothesen werden diese heute zum Teil sogar als unerlaubte Hilfsmittel angesehen.- wiki


Keiner will der Hipster sein

Bei genauerem Blick scheint es aber fast so, als ob sich hier wiedereinmal eher eine Gegenkultur etabliert, als dass sich das Erfolgsmodell eines Vorzeigehipster breitflächig in die Gesellschaftsschichten drückt. So ähnlich wie die Hard Rocker keine Lust mehr hatten auf die Hippies und die Popper keine Lust mehr auf die Hard Rocker und der Grunge auf nichts. Aber eben nur so ähnlich. 


Im vergangenen Jahr fand sich im Schaufenster einer Galerie in Berlin-Neukölln eine krakelige Notiz: "Sorry, no entry for hipsters from the U.S." Und andere, den Amerikanern nacheifernde sowie spanische Hipster sollten, bitteschön, genauso draußen bleiben. "Portugiesen willkommen", so der versöhnliche Schlusshalbsatz der Hipsterhasser.- [Die Welt, 10. März 2012]
oder

Der New Yorker Künstler Jeff Greenspan stellte kürzlich in Brooklyn Fuchsfallen für Hipster auf, als Köder dienten pinkfarbene Ray-Ban-Sonnenbrillen und analoge Kameras. Blogs wie „Look at this fucking Hipster“ führen besonders groteske Exemplare vor. - [Tagesspiegel, 22. März 2012]


Zu einem guten Wein isst man einen Käse und für einem guten Vergleich holt euer Henoth auch die passenden Freaks aus der Schublade: In den 80s waren es die Yuppies.  Lest euch mal das durch und unterstreicht mit grünem Buntstift was passt und mit rotem Buntstift was nicht passt:


In den Medien lösten die Yuppies die Yippies der 1970er Jahre ab. Lebensinhalt der Yuppies war der Konsum. Als Modedroge wurde Cannabis nun durch Kokain ersetzt. Weiterhin war ein gepflegter, mäßiger Alkoholkonsum typisch, man genoss Rotwein, Bier, Cognac oder diverse Obstschnäpse, oft auch im Zusammenhang mit ausgiebigen Restaurantbesuchen bei gutem Essen. Trinkexzesse waren verpönt. Im Gegensatz zur Gegenkultur der 1960er und 1970er Jahre standen bei den Yuppies Konsum und materieller Wohlstand im Vordergrund. Dieser Reichtum und der damit einhergehende Hedonismus wurden beispielsweise durch das Tragen teurer Kleidung, teure Wohnungseinrichtungen oder durch exklusive Autos repräsentiert. Der sogenannte „Markenwahn“ entstand Mitte der 1980er Jahre. wiki

Hups, erwischt. Hipster sind die Erben der Yuppies, welche Erben de Yippies sind. Wenig verwunderlich, dass dies auch etymologisch so nahe bei einander liegt. Na dann fröhlichen Konsum.


Hipster trinken Pabst Beer und tragen Atari T-Shirts

threewordphrase.com
Nehmen wir ein weiteres: Pabst Blue Ribbon Brew. Das Getränk soll durch seine Authentizität ja geradezu überschäumen:

By 2001, the brand's sales were below a million barrels. That year, the company got a new CEO, Brian Kovalchuk, formerly the CFO of Benetton, and major changes at the company's marketing department were made.  [...]
Although the Pabst website features user-submitted photography, much of which features twenty-something Pabst drinkers dressed in alternative fashions, the company has opted not to fully embrace the countercultural label in its marketing, fearing that doing so could jeopardize the very "authenticity" that made the brand popular. - wiki

Dass die Produktion bereits in den 90er Jahren nicht mehr im traditionellen Stammhaus in der Innestadt von Milwaukee stattfindet sondern durch Lizenzbrauereien realisiert wird, dass ist doch egal oder? Bier ist doch Bier, oder? Für den Deutschen: Gerade in den USA wird auf Reinheitsgebote sowieso nicht geachtet.

Der Chief Financial Officer des Klamottenlabels Benetton wird sich aber sicherlich die Bettdecke nassgeschwitzt haben bei der Überlegung, wie er die Authentizität der Marke bewahrte ohne eben immernoch das selbe Produkt herstellen zu müssen. Wäre ja auch viel verlangt.



Ähnlich erging es einer Marke, die ich selber mal liebgewonnen habe: Atari Inc. Denn Atari gilt mit der Veröffentlichung von Pong, dem ersten weltweit populären Computerspiel, als Pionier der Computerspielindustrie. Und ein Atari 7800 war auch die einzige Videospielkonsole, die ich besaß. Leider ist dem Atari ein spielentwicklungstechnisch schlechter Zeitpunkt zuteil geworden, als es 1983/84 zu dem Videospielecrash kam.

Der Leitsatz "Die Eltern standen vor der Wahl, ein Videospiel zu kaufen oder gleich einen Computer, der den meist jugendlichen Benutzern auch etwas Nützliches beibringen konnte." prägte meine Kindheit, als man feststellen musste, dass ein Arcade-Konsole mit 3 verscheidenen Games eben keine Fortschritte bei der Entwicklung des Nachwuchses erzeugen konnte. Also wechselte man schnell auf das mit BASIC zu steuernde Konkurrenzprodukt Mitte der 80er, das selbstverständlcih auch zu diesem Zeitpunkt kein Macintosh gewesen ist, sondern ein Commodore 64 - ein Erfolgsmodell der immerhin bis 1994 produziert wurde. Er gilt als der meistverkaufte Heimcomputer weltweit. Dieser ist deshalb auch so erfolgreich weil der BASIC Interpreter dem Anwender erlaubte selber Spieleentwickler/ Softwareprogrammierer zu sein und von Softwareflaute war keine Rede mehr.

Eine damals sehr bekannte Softwareschmiede war Infrogrames:

 "Mit der Übernahme von Hasbro Interactive gelangte das Unternehmen [Infogrames] zudem in den Besitz der Namensrechte des früheren Konsolenherstellers Atari. Einige dieser Übernahmen wie Accolade und Gremlin bezeichnete Bonnell in einem Interview 2004 nachträglich als Fehler." - wiki

Infrogrames übernahm Gremlin Ent, GT Interactive und Hasbro Interactive, die Gruppe änderte ihren Namen komplett in Atari SA und starb dann einfach. Diese namensrechtliche, französiche Atari SA Gruppe, die jetzt 2013 ihre Insolvenz angemeldet hat, ist natürlich nicht zu verwechseln mit der immernoch bestehenden Atari Inc., mit Sitz in Sunnyvale, Kalifornien.
btw für mich ist HassBro'  im deutschen  etymologisch für mich schon kein Sympathieträger.

Dabei übt Hasbro, genau wie auch im Falle der Zeichentrickserien, unterschiedlich starken Einfluss auf die Comicautoren aus, damit diese etwa verstärkt neue Produkte (z. B. Figuren oder Fahrzeuge) in den Mittelpunkt der Geschichten rücken. - wiki

Dass ich als Bub nahezu verliebt war in solcherlei Produktion und deren käuflichen Bestandteile, soll uns aber nicht als Aufhänger dienen. Aber wir belassen diese Erfahrung mit diesem übermächtigen Sog im Hinterkopf, wenn wir bewerten wollen, warum Konsum geschieht wie er eben geschieht und warum das die Hipster prägt.

Denn Konsum ist zunächst nur ein Ausleben eines verlagerten Bedürfnisses. Also An einer Stelle fehlt etwas und an anderer Stelle wird dagegen etwas getan. Das Verbindungspassstück ist nahezu vollständig emotional und wird, damit es greifbarer scheint, konstruiert. Es wird so konstruiert, dass es massentauglich ist, aber individuell, dass man es verkaufen kann, aber ohne Verlust von Exklusivität, dass es einen Trend setzt, aber zur populäreren Gegenkultur gehört.  Dann hat mat mit diesem Produkt Erfolg und nebenbei eine Entschudligung für alle Käufer, warum sie eben so sind, wie sie sind (und das also konsumieren müssen).
Die Gegenkultur zu dieser Gegenkultur hat es allerdings schwieriger: sie muss alles ablehnen.

"Antikonsumisten, so Ullrich, fühlten sich durch die Warenästhetik "zynisch behandelt, für dumm verkauft, ausgenutzt. Aber zugleich empfinden sie sich als überlegen, sind sie doch – im Unterschied zu anderen Konsumenten – wach genug, um das böse Spiel der Manipulation zu durchschauen." - zeit.de

Wach genug, um das böse Spiel der Manipulation zu durchschauen ist sicherlich jeder andere auch, und die gefühlte Überlegenheit des Anti-Konsumisten ist leider die gleiche, wie die Arroganz und das Coocooning der Yuppies und die gleiche, wie die Abgrenzung der Hipster-bewegung, ist die gleiche,. wie die Hass-Tiraden auf Hipster. Das hebt sich hier also unter und über dem Bruchstrich auf und darf als Gegenstandslos bewertet werden - wer sich als überlegen empfindet ein böses Spiel der Manipulation zu durchschauen, der läuft Gefahr sich zu täschen.

Die Frage ist doch ob man selber Luxottica/ Pabst/ Atari Hersteller ist und seine Ware mit Marketing auflädt, obwohl man es besser weiß, oder ob man eben Konsument ist und glauben muss. Da gibts es auch keine Insider-Group, die den letzten Schrei vernommen hat, es gibt nur andere Begründungen etwas zu kaufen.Und Authentizität ist bei Lifestyle-Produkten wahrscheinlich eher eine schlechte Begründung, auch wenn man auf der Authentizität seines Warenkorbes die der eigenen Person aufkonstruieren möchte. Das sollte man schon durchschauen können, egal wie dagegen man ist.






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